Hövelsenne - Ein Dorf weicht dem Truppenübungsplatz
![]() Zur Erinnerung an den Beginn der Umsiedlung von Hövelsenne vor 70 Jahren (Von Heinrich Fortmeier)1939, vor nunmehr 70 Jahren, wurde der Truppenübungsplatz Senne erweitert. Das Dorf Hövelsenne stand den Ausbauplanungen im Weg. An den Bachläufen von Ems, Krollbach, Knochenbach und Haustenbach hatten sich hier nach dem dreißigjährigen Krieg die ersten Siedler niedergelassen - später auch auf den trockenen Flächen in so genannten Riegen wie Kämper- oder Rellerriege. Bei den Siedlern handelte es sich überwiegend um Bauernsöhne aus dem Delbrücker Land, im östlichen Teil von Haustenbeck ließen sich auch einige Lipper nieder. Eine Reihe von Höfen am Krollbach wurde bereits 1670 urkundlich erwähnt. Im Lauf der Zeit entwickelte sich ein Siedlungskern mit Geschäften und verschiedenen selbstständigen Handwerkern. Am Krollbach entstand die Krollmühle, am Haustenbach wurde ab 1780 die Staumühle errichtet. Die Bewohner lebten überwiegend von der Landwirtschaft. Der karge Senneboden wurde mit viel Mühe urbar gemacht. Neben Kartoffeln, Roggen und Steckrüben wurde auf den neuen Böden vielfach der anspruchsvolle Buchweizen angebaut. Bis 1800 besuchten die Kinder die Kirchschule in Hövelhof. Dann wurde eine Schule errichtet, die nach dem ersten Lehrer Caspar Pfannkuch und seinem anschließend dort tätigen Sohn " Pannkaukenschule " genannt wurde. Bis zum Jahre 1892 kamen auch die katholischen Kinder aus Taubenteich nach hierher, während die evangelischen nach Haustenbeck gingen. Taubenteich lag im Dreieck zwischen Hövelsenne, Lippspringe und Haustenbeck und musste schon 1892 dem neuen Truppenübungsplatz weichen. Die Hövelsenner Kirche wurde erst 1923 gebaut, bis dahin war das fünf bis acht Kilometer entfernte Hövelhof Kirchort. Das neue Gotteshaus war dem hl. Josef geweiht und fast ganz durch Spenden und Eigenleistung finanziert worden. Die Sonntagsgottesdienste wurden fünfzig Jahre, bis zur Auflösung 1974, von den Patres des Salvator-Kollegs Klausheide gefeiert. Mittwochs kamen die jeweiligen Hövelhofer Vikare zum Gottesdienst und zum Religionsunterricht in die Schule. Als sich im Jahre 1937/38 wegen der geplanten Erweiterung des Truppenübungsplatzes die Umsiedlung abzeichnete, war das für alle Hövelsenner eine Schreckensbotschaft. Die Umsiedlung begann 1939 und dauerte mit Unterbrechung nach Kriegsende bis 1974. Betroffen waren - außer Schule und Kirche - 135 Haus- und Hofstellen mit rund 800 Personen . Die Fläche betrug mit 20 Quadratkilometern etwa ein Drittel der damaligen Gemeinde Hövelhof. Als der Truppenübungsplatz Senne 1892 eingerichtet wurde, waren bereits über vier Quadratkilometer mit fünf Hövelhofer Hofstellen aufgekauft worden. Für die Abwicklung der Umsiedlungen war die Reichsumsiedlungsgesellschaft zuständig, die den Wert der Hofstellen einschätzte. Die Gesellschaft übte aber auch großen Druck auf die Hövelsenner aus, da vor allem der östliche Ortsteil damals schnell zu Schussbahn hergerichtet werden sollte. Haustenbeck war ja bekanntlich 1939 bereits komplett umgesiedelt. Militärische Übungen zwischen den Gebäuden, Schießübungen über den noch bewohnten Häusern hinweg, der Bau von Stauseen am Hausten- und Knochenbach, dieses alles trug dazu bei, dass die Bewohner unruhig wurden und schweren Herzens die Umsiedlung akzeptierten. Die Umsiedlungsgesellschaft unterbreitete auch Vorschläge, wo es freie Hofstellen zu kaufen gab, zumeist weit weg von der Heimat. Wer sich nach mehreren Vorschlägen nicht entscheiden konnte oder wer mit dem angebotenen Preis nicht einverstanden war, wurde zwangsumgesiedelt. Erschwerend kam dazu, dass Väter Söhne und Hoferben infolge des Krieges nicht zuhause waren. Bei den Betroffenen herrschte große Ratlosigkeit und Verbitterung. Bis 1942 waren schon 65 Haus- und Hofstellen umgesiedelt. Viele ältere Leute haben Hövelsenne nach dem Umzug nicht mehr wieder gesehen. Ortschronist Lehrer Flottmeier: "Alle haben ihre heimatliche Stätte nur ungern verlassen, denn auch der sterile Sandboden des östlichen Gemeindeteils bot ihnen bei der Anwendung von Kunstdünger eine sichere Existenz." Wo sind sie geblieben, die 135 Familien? Immerhin 56 Familien, überwiegend die kleineren Nebenerwerbsstellen, konnten in der Heimatgemeinde Hövelhof ein Baugrundstück erwerben. Sechs Landwirte zogen ins Rheinland, vier ins Delbrücker Land, sechs ins Münsterland, sieben nach Lippe, zwei nach Heddinghausen, vier nach Stukenbrock-Schloß Holte und einzelne nach Bielefeld, Fulda, Lipperode, Sennestadt, Oerlinghausen. Allein 20 selbständige Landwirte zogen nach Mecklenburg, wo in den Orten Tessin, Zühr und Setzin einige große Güter zur Schaffung neuer Hofstellen aufgeteilt wurden. Die Hövelsenner Bauern, die durchweg katholisch waren, stellten die Bedingung, dass in der dortigen Diaspora eine Kirche und katholische Betreuung geschaffen würde, was vom zuständigen Bistum Osnabrück auch ermöglicht wurde. Zu vielen umgesiedelten Familien besteht auch nach vier Jahrzehnten DDR-Vergangenheit noch heute reger Kontakt. Bis zur Wende 1989 war ein Besuch in der damaligen Heimat nicht möglich. In Setzin, wo elf frühere Hövelsenner Bauern wohnen, wurde in den 1990er Jahren eine Straße in "Hövelsenner Straße" umbenannt. Umgekehrt gibt es in Hövelhof zur Erinnerung den Setziner und den Zührer Weg. Als 1997 in Zühr eine neue Kirche gebaut wurde, organisierte die Hövelsenner Schützen spontan eine Sammlung. Zwei Glocken sind übrigens schon 1955 von den Hövelhofern gespendet worden. In der letzten Phase des zweiten Weltkrieges kam die Umsiedlung zusehends ins Stocken. Nach Kriegsende hofften die noch verbliebenen rund 65 Familien auf eine Einstellung der Umsiedlungsaktion. Die leer stehenden Häuser waren inzwischen infolge der drängenden Wohnungsnot notdürftig wieder hergerichtet und wurden überwiegend von Evakuierten und Ostvertriebenen bewohnt. Somit war auch die Einwohnerzahl Hövelsennes wieder gestiegen. Das Leben ging weiter, man hatte wieder Hoffnung. Auch die Behörden rechneten nicht mehr mit der weiteren Umsiedlung. Die Schule wurde renoviert, am Krollbach wurde ein Landschulheim errichtet. 1950 wurde sogar eine neue Orgel für die Kirche angeschafft. Bei der Beibehaltung des Status Quo wäre der Mittweg (oder auch Brunnenreihe, die Stadt Bielefeld hatte dort Tiefbohrungen für die Trinkwasserversorgung gebaut) zur westlichen Grenze des Truppenübungsplatzes geworden, Schule und Kirche wären erhalten geblieben. Gemeinde Hövelhof, Am Neuhaus, Kreis und Landwirtschaftskammer sowie NRW-Landwirtschaftsminister Niermann unterstützen diese Bestrebungen. Dagegen bestand vor allem das Bundesvermögensamt auf der Fortführung der 1939 eingeleiteten Maßnahmen. Man berief sich auf das umstrittene Kriegsfolgeschlussgesetz. Mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, an dessen Kosten sich alle verbliebenen Familien beteiligten, suchten die Hövelsenner ihre Vorstellungen durchzusetzen - leider erfolglos. Auch das Forstamt Senne befürwortete die Umsiedlung und schlug vor, den kargen Senneboden aufzuforsten. Regierungspräsident Galle in Detmold sprach sich ebenfalls für die Aufgabe Hövelsennes aus, um eine angedachte Erweiterung des Truppenübungsgeländes in Richtung Teutoburger Wald zu verhindern. Er wurde von den Gemeinden und vom Amt Neuhaus massiv kritisiert. Es gab immer wieder Versammlungen, abwechselnd in Hövelsenne und Stukenbrock-Senne, das ebenso betroffen war. Die Lage spitzte sich zu. Um Klarheit zu schaffen, trafen sich am 20. Juli 1960 Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß und der Paderborner Bundestagsabgeordnete Rainer Barzel zu einem Lokaltermin in der Stukenbrock-Senner Schule. Das Ergebnis: Zur Westgrenze wurde nicht wie erwartet der Mittweg, sondern die so genannte Barzellinie, die nahezu identisch mit der heutigen Panzerringstraße ist. Stukenbrock-Senne, bis dahin genauso von der Umsiedlung betroffen, wurde dabei einschließlich des Geländes des Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlagers "Stalag 326 VI K" aus den Planungen herausgenommen. Hövelsenne musste somit endgültig geräumt werden. Alle Hoffnungen schwanden dahin, Enttäuschung und Verbitterung waren groß - Umsiedlung Teil zwei begann. Aufgrund dieser neuen Grenze des Truppenübungsplatzes, die eine Grenzbegradigung in Richtung des früheren Kriegsgefangenenlagers darstellt, wurde auch in Hövelsenne die Grenze einige hundert Meter nach Osten verschoben. Den betroffnen Familien nütze das jedoch nichts mehr, da sie bereits umgesiedelt oder aber vor Kriegsende in Reichsmark abgefunden worden waren. Alle Bewohner erhielten ihre Kündigung und wurden zur Räumung der Häuser aufgefordert. Sie mussten sich in der Regel mit dem Preis abfinden, der 1939 von der Reichsumsiedlungsgesellschaft festgelegt worden war. Eine zusätzliche Enttäuschung, denn mit dem Geld konnte man höchstens noch eine Garage bauen. Die Schule wurde schon 1966 geschlossen. Die endgültige Räumung der letzten Hofstellen verzögerte sich bis 1974. Im gleichen Jahr erging der Räumungstermin für die Hövelsenner Kirche; letzter Gottesdienst war die vom Hövelhofer Pfarrer Josef Heller zelebrierte Hubertusmesse der Schützen. Die kleine, erst 1923 errichtete Kirche musste aufgegeben werden. Das Inventar wurde teilweise verkauft, die Orgel an die Kirchengemeinde St. Stefan in Paderborn, der Barockaltar in die alte Wehrkirche Borchen-Dörenhagen. Der Grundstein, der vor der Sprengung gerettet werden konnte, ist beim Neubau der Hövelhofer Pfarrkirche eingemauert worden. Im "Heimatzentrum OWL" wird heute ein Teil des Inventars verwahrt, u.a. Kanzel, Kommunionbank, Beichtstuhl, Glocke und etliche Bilder. Darüber hinaus haben der Männergesangsverein Hövelsenne und die Hövelsenner Schützenkompanie weiterhin Bestand und halten in Hövelhof die Erinnerung an die alte Heimat wach. Nach 1974 wurde im ehemaligen Ortskern eine Schießbahn gebaut. Im September 1985 wurde die inzwischen zerschossene Kirche gesprengt. Heute erinnert bei der Kirche nur noch ein 1983 aufgestellter Gedenkstein sowie ein bewachsener Schuttberg an das Dorf Hövelsenne. Die meisten Hofstellen sind- sofern nicht in der Schussbahn liegend - aufgrund der Hofeichen und Mauerreste gut auffindbar. Im Lauf der Zeit wurde es immer schwieriger nach Hövelsenne zu gelangen. Nur gelegentlich werden Ausnahmegenehmigungen mit entsprechender Führung erteilt. Wünschenswert wäre eine häufigere Möglichkeit für Wanderungen oder Fahrten in das Gebiet, um Betroffnen, Nachkommen und Interessierten zeigen zu können, wo Dorf, Kirche und Schule, wo die Heimat von 135 Hövelsenner Familien war. (Quelle: Die Warte, Verlag Warte e.V., Paderborn-Höxter", Ausgabe Nr. 141, S. 26-28) ![]() Hören Sie zu der traurigen Geschichte unser Lied: "Dät is näou vorbey ..." |